Es ist ein ungeheuer interessantes und detailreiches Buch. Und es erweitert ungemein das Wissen über die Wirkung von Medien.

Schon in der Einführung weisen die Herausgeber darauf hin, daß die Bilder in den Köpfen entscheidend sind für die Beurteilung der Gegenwart und der Vergangenheit.

„Die Präsentation des Weltgeschehens, wie sie sich in den Massenmedien vollzieht, ist dabei stets als das Resultat eines journalistischen Bearbeitungsprozesses einzuordnen, der bestimmten Regeln folgt und eine bestimmte Interpretation der Ereignisse nahelegt.“

So schreiben es Felix Beer, Klaus Sachs-Hombach und Schamma Schahadat in ihrem Buch Krieg und Konflikt in den Medien.

Und sie fügen hinzu: „Umso wichtiger ist es, mediale Kriegsberichterstattung nicht unreflektiert als Wahrheit anzuerkennen… nehmen die Medien hier doch neben der reinen Informationsfunktion zusätzlich auch eine Gedächtnisfunktion ein: So fußt das Wissen der jüngeren Generation über bewaffnete Konflikte … häufig zum großen Teil auf medialen Darstellungen.“

Und dann werden sehr tiefe Blicke auf einige Bereiche geworfen, die uns heute allgegenwärtig sind.

Es sind aber nicht nur Blicke auf Fotos und Filme sondern auch Blicke auf das, was immer mehr Menschen in ihrer Freizeit beschäftigt: Computerspiele.

Und natürlich das Internet als digitales Land der unendlichen Weiten.

Dies alles ist die neue und oft verborgene Art der Sozialisation, die prägend das Wesen nicht nur junger Menschen ergreift und fast niemand sieht es.

Gut und Böse, Drohnenkrieg im Spiel, mal eben die Welt retten, die meisten Treffer sind entscheidend – die Welt und damit die eigenen Entscheidungsmuster werden mit Bildern gefüttert, die den unverschleierten Blick auf die Welt und ihre Chancen kaum mehr möglich machen.

Jeder Beitrag ist sehr substanziell.

Ich muß sagen, gerade in den Bereichen, die ich kaum kenne, hat das Buch meinen Horizont sehr erweitert und im Bereich Fotografie um einige juwelenartige Untersuchungen ergänzt.

Das Buch ist ein Tagungsband.

Ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis ermöglicht die Breite der Themen zu erkennen:

Felix Reer, Klaus Sachs-Hombach, Schamma Schahadat
Vorwort der Herausgeber

Ulrich Hägele
How I Won – How I Lost the War. Bildkonstruktionen zum Kriegsende: Ikonisierung und kollektives Gedächtnis

Bernd Stiegler
Fotografie und Bürgerkrieg

Sebastian Gerth
Den Krieg im Fokus.Eine Interviewstudie zu emotionalisierenden Bildelementen am Beispiel ausgewählter Kriegsfotografien von James Nachtwey

Romy Fröhlich
Frauen, Medien und Krieg: Die Darstellung von Frauen in der Kriegsberichterstattung überregionaler Tageszeitungen in Deutschland von 1989 bis 2000

Daniel Hornuff
Trauerdilemma. Zur Berichterstattung über die Anschläge in Norwegen 2011

Thomas Elsaesser
Paradoxa und Parapraxen. Über (die Grenzen) filmische(r) Darstellung in Postkonfliktsituationen

Hans J. Wulff
Schocken, nicht schrecken! Schockbilder und Strategien ihrer Verwendung im Film

Anne Ulrich
›Feldherrnherrlichkeit‹ am Kartentisch. Zur Modellierung kriegsspezifischer Glaubwürdigkeit im Fernsehnachrichten-Studio

Thomas Knieper, Ibrahim Saleh
Die audiovisuelle Medienberichterstattung über das Massaker von Marikana: Bestimmt die Weltanschauung die Sicht auf die Dinge?

Stephan Weichert
Zwischen Fetischismus und Faszination: Bestandsaufnahme der Auslands- und Krisenberichterstattung deutscher Medien unter digitalen Vorzeichen

Johanna Roering
Propaganda aus dem Feldbett: Military Blogs als Teilnehmer an der Kriegsberichterstattung

Georg Valtin, Peter Ohler
Kriegsinszenierung in modernen Computerspielen am Beispiel der Call of Duty: Modern Warfare-Reihe

Felix Reer, Nicole C. Krämer
Die Nutzung und Wirkung von Kriegscomputerspielen am Beispiel von First-Person-Shootern

Als ich das Buch durchgelesen hatte, war mir klar, daß ich es im Bücherschrank stehen lasse und nicht verschenke.

Warum?

Zum Beispiel weil es Kriterien liefert, einige Fotografien sicherer und klarer einzuordnen. So entwickelt Ulrich Hägele gute Kriterien für Bildikonen, die das gesamte Urteilsvermögen bei der Bildbetrachtung erweitern.

In vielen der anderen Beiträge werden Ereignisse, die geschehen sind, in ihrer medialen Betrachtung unter Berücksichtung der vorhandenen und nutzbaren Quellen zusammenfassend dargestellt.

Dieser Blick zurück führt zu sehr ernüchternden Erkenntnissen, die sonst ja nirgendwo zu finden sind und hier substantiiert dokumentiert sind.

  • Das Massaker von Marikana in Südafrika 2012 ist so einseitig dargestellt worden, daß wir bis heute dazu eine falsche Beurteilung im Kopf haben.
  • Die Auslandsberichterstattung deutscher Medien ist unter klassischen journalistischen Kriterien kaum noch möglich und zunehmend eine Hotelberichterstattung.
  • Kriegsgeschehen wird nur noch durch Einbettung in den Schutz und die Sichtweise einer Seite möglich.
  • Videospiele finden immer mehr Anhänger und beeinflussen durch ihre Interaktivität und Eindimensionalität das Denken und Handeln. Sie sozialisieren sogar nach der Jugendzeit. Aber es gibt so gut wie keine weitreichenden Untersuchungen.
  • Wenn wir über das Internet sprechen, müssen wir mindestens zwischen den journalistischen Online-Angeboten, Individualmedien wie Blogs und Social Networks unterscheiden, d.h. die alten Machtkanäle dominieren immer weniger.

Um nur diese fünf Erkenntnisse zu benennen. Jeder Artikel bietet aber mehr.

Vor allem hat mir das Buch auch noch einmal vor Augen geführt, daß wir heute in einer echten Sekundärwelt leben, in der wir fast alles nur aus zweiter Hand mit digitalen Bildern sehen und daraus unsere Entscheidungen und unsere Identität und Erinnerungskultur ableiten.

Die Macht der Bilder ist unglaublich.

Kann man aus diesem Buch ein Fazit ziehen?

Selbst wenn man es nicht könnte, möchte ich es dennoch tun. Denn das Leben geht weiter mit jedem Konflikt und jeden Tag solange es uns noch gibt.

Hägele zitiert James Nachtwey mit den Worten: „Wenn Krieg die Folge des Zusammenbruchs der Verständigung ist, dann ist die Fotografie als eine Form der Verständigung das Gegenteil von Krieg.“

Da steckt viel drin, weil das Soziale das Schicksal des Menschen ist und das Asoziale unser Kampf auf dieser Welt.

Dazu gehören eben auch und immer wieder gerade heute Fotos, die mehr als Schwarzweißmalerei zeigen.

Dazu gehören Filme mit Bildern, die wirken und dazu gehört auch die Wahrheit, daß der Mensch nicht nur gut ist und daher Grenzen und Kontrollen auch dazu gehören – aber eben nicht von den Mächtigen allein, die ja derselben charakterlichen Widersprüchlichkeit unterliegen, sondern echte demokratische Kontrollen der Kontrollen erforderlich sind. Und unser Parlament schafft es ja nicht mehr, so daß neues Denken erforderlich wird.

Macht wird nur durch Gegenmacht begrenzt stellte Hannah Arend fest. Und Bilder werden in ihrer Wirkung nur durch andere Bilder begrenzt.

So ist dieses Buch mit individuellen Beiträgen und individuellen Sprachstilen eine gelungene Sammlung, die Krieg und Konflikt in den Medien an guten Beispielen darstellt, die wir alle gesehen haben, und uns die Möglichkeit gibt, mehr zu wissen und besser zukünftig das Gesehene einordnen zu können.

Denn eine andere Erkenntnis aus dem Buch für mich lautet, es hat sich ja trotz der Untersuchungen hier nichts geändert außer daß mit diesem Buch Bewußtsein geschaffen werden kann, um den Blick und den Verstand zu schärfen beim Leben in einer sekundären Welt.

Das gelingt ausgesprochen gut.

Das Buch ist im Halem-Verlag erschienen.
Felix Reer / Klaus Sachs-Hombach / Schamma Schahadat (Hrsg.)
Krieg und Konflikt in den Medien
Multidisziplinäre Perspektiven auf mediale Kriegsdarstellungen und deren Wirkungen

ISBN 9783869621326