Neu war für mich die Information, daß Salgado krank wurde, weil er zu viel Elend fotografiert hatte.
„In den Neunzigerjahren ist Sebastião Salgado krank geworden, er hatte mehrere offene Infektionen. Die Ärzte sagten ihm, sein eigener Körper greife ihn an. Salgado verstand. Er hatte zu viel Leid in sich aufgesogen,“ lesen wir auf spiegel.de.
Nun hat er das Genesis-Projekt fertiggestellt und Wim Wenders hat einen Film über Salgado gedreht „Das Salz der Erde“.
Und jetzt wird über seine Krankheit gesprochen.
Fotografie als Therapie oder Fotografie macht krank oder beides?
Fotografische Themen als Ursache für Krankheit und Gesundheit?
Es gehört zur Wahrheit über die Dokumentarfotografie, daß sie abfärbt.
Es ist die Frontlinie und es geht darum, die Distanz zu wahren.
Gerade Kriegsreporter weisen darauf hin wie wichtig die Linse ist.
Sie ist der Schutz und der Distanzhalter.
Je größer die Linse desto größer der Schutz?
Aber wenn man mittendrin ist, was ist dann?
Es bleibt nicht an der Kleidung hängen.
Es kommt über das Auge in den Kopf.
Spricht das gegen dokumentarische Fotografie?
Nein, denn Salgado hat durch die Fotografie seinen Weg aus der Krankheit gefunden.
Das ist übrigens eine der Dimensionen, die den Film auszeichnet: er zeigt nicht nur das Werk sondern die Enstehung des Werkes anhand der Biografie und versteht es, die Aktualität des Fotografierten zu präsentieren.
So lernen wir eine neue physikalisch-photographische Weisheit neu sehen:
Man soll nicht nur den Schatten fotografieren sondern auch das Licht.
Licht und Schatten gehören zusammen – gerade auch in der Fotografie und bei der Motivwahl und für die Seele.
Kann Fotografie heilen?
Sie kann helfen zu heilen, das steht fest.
Es ist ein Mittel
- gegen Herzlosigkeit und für Herzlichkeit,
- gegen Einsamkeit und für Zweisamkeit
- gegen Hass und für die Liebe
Aber es kommt oft weniger auf das Ergebnis als auf die Tätigkeit an sich an.
Damit wären wir wieder beim Vita activa der Fotografie.
Was du fotografiert hast bist du, was du gerade fotografierst wirst du?
Dieser Artikel aus Anlaß des Filmstarts und dieser Info über Salgado lädt dazu ein, genau diese Dinge zu formulieren, die hier nun stehen.
Das Dokumentieren des menschlichen Charakters führt zu der Erkenntnis, daß menschliche Macht beschränkt werden muß.
Hannah Arendt wußte es schon nach ihrem Studium der totalitären Herrschaft: Macht wird nur durch Gegenmacht beschränkt.
Auch die Macher des Grundgesetzes wußten es. Entgrenzte Macht erleben wir gerade als Globalisierung. Regeln reichen nicht. Macht ist Wirtschaft und die Politik regelt, wie viel Macht die Wirtschaft hat. Das ist Gegenmacht, wenn es klappt. Das dokumentierte Salgado früher. Dabei war Arbeit der Schlüsselbegriff, weil er zeigt, welche Regeln gelten.
Genesis ist die Seite mit dem Licht.
Das hat Salgado aktuell dokumentiert.
Er zeigt, daß eine Hälfte der Welt noch „heil“ ist – eher natürlich.
Ob er damit erreicht wachzurütteln?
Vielleicht anders als gedacht. Vielleicht kommen jetzt die Globalisierer noch schneller in diese Hälfte, um neue Investitionsmöglichkeiten mit Profit zu finden.
Salgado zeigt uns im Zeitalter der Anti-Landschaften noch einmal Landschaften und Wenders macht daraus einen Film, der das Leben Salgados als Fotograf großer Entwicklungen zeigt. Gerade die konkreten dokumentierenden Fotografien über die Toten und die Massaker geben uns Namenlosen ein Gesicht. In der zeitlichen Reihung wird dabei das Überzeitliche sichtbar und führt uns in die Wirklichkeit jenseits der Illusionen, die von uns gemacht wird.
Ist Salgado für die Fotografie das, was Hannah Arendt für die Philosophie war?
Krieg, Arbeit, Schöpfung, Tod – Genesis?
Der Kreislauf der Welt?
Ich weiß es nicht.
Ich sehe.
Aber ich weiß um die Wirkung von Fotos auf den Fotografen und die Menschen, die diese Fotos zu Gesicht bekommen.
Fotos ersetzen kein Handeln und Filme bewegen oft mehr als einzelne Fotos.
Vielleicht gelingt es den beiden „Großen“ ihrer jeweiligen Zunft zusammen etwas zu erreichen, was über das visuelle Erlebnis hinausgeht.
Das wäre schön.
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