Es geht um „Hillarys Hand. Zur politischen Ikonographie der Gegenwart“.

So lautete die Tagung, die Inspiration für dieses Buch wurde.

Es geht darum, ein Foto zu analysieren, das weltweit bekannt wurde. Es zeigt die amerikanische Führung bei der Jagd auf Osama Bin Laden.

Je nach Wissenschaft ist die Sichtweise anders und natürlich auch das Vokabular.

Das Buch fasziniert aber noch aus einem anderen Grund.

Es ist im Budrich-Verlag aus Leverkusen erschienen und wir können das Haus von Osama Bin Laden in Oberhausen besichtigen.

Wir sitzen also mittendrin im Weltgeschehen. Die Welt der Medien macht es möglich.

Ich habe mal geschrieben, Remscheid liegt in Amerika. Man könnte auch sagen, Pakistan ist in Oberhausen oder Washington kommt aus Leverkusen. Das ist visuell und virtuell alles wahr aber real teilweise irreal.

So virtuell wie die Welt ist auch die Welt der Zugänge zur Untersuchung von Fotos in der heutigen Zeit.

  • Journalistische Recherche von Günther Haller
  • Seriell-ikonografische Fotoanalyse von Ulrike Pilarczyk
  • Dokumentarische Bildinterpretation von Aglaja Przyborski
  • Kulturpsychologische Bildanalyse von Martin Schuster

sind die vier Zugänge zur Untersuchung und Interpretation dieses Fotos.

Vier Zugänge, die wie vier Seiten eines Fotos wirken.

Wissenschaftlich gesehen ist es ein „Methodenbuch“, das zeigt, wie heute je nach Wissenschaft, Erkenntnis und Interesse ein Foto analysiert werden kann.

Wir lesen bei Günther Haller über das gesamte politische Umfeld und den Fotografen Pete Souza. Dadurch verstehen wir, daß dieses Foto der Propaganda dient. Es soll dokumentieren und zugleich Botschaften senden.

Ulrike Pilarczyk schaut auf flickr.com welche Fotos das White House im Zusammenhang mit diesem Foto veröffentlich hat und befragt Studierende, die das Foto noch nocht kannten danach, wie es auf sie wirkte.

„Fotografische Situationen sind zunächst soziale Situationen, die sich von anderen dadurch unterscheiden, daß es sie ohne das Fotografieren gar nicht oder nicht auf gleiche Weise gibt.“

Und so fragt sie danach wie die Situation war, was der Fotograf machte, wie die Menschen dargestellt werden etc.

Bemerkenswert finde ich auch, daß sie die Geometrie des Fotos aufschlüsselt und zeigt wie die Linien verlaufen, denen das Auge folgt.

„Die Unterscheidung zwischen dem Wie einer Darstellung und dem Was einer Darstellung ist die erkenntnisleitende Differenz der Dokumentarischen Methode.“

So erklärt Aglaja Przyborski wie sie den „Habitus der Macht“ untersucht.

Von der formalen Komposition bis zur Frage was ist warum scharf bzw. unscharf bis zur Frage der Komposition wird alles untersucht um etwas „zur Ikonik bzw. zum Eigensinn des Bildes“ zu sagen.

„Das Foto leistet nicht die Vermittlung von Fakten. Es dient freilich der Legitimation und Sicherung von Macht.“ Dorthin führt uns ihre Analyse.

„Der Kontext strukturiert das Sehen allerdings bereits bei der Dekodierung der Bildbetrachtung.“

Mit diesem Gedanken im ersten Abschnitt führt uns Martin Schuster in seine kulturpsychologie Betrachtung ein und er führt uns elementare psychologische Zusammenhänge vor Augen: „Der Einfluss der Bilder ist gerade deswegen so gefährlich, weil er die rationale Kontrolle völlig unterläuft.“

Und Schuster nimmt dann eine „kenntnisgestützte Interpretation“ vor, die Erkenntnisse der Hirnforschung und der Verhaltensforschung koppelt.

Ulrike Pilarczyk nennt das Foto ein „Anti-Bild“ und Schuster nennt es ein „Propagandabild“, welches das „Nicht-Sehen“ verdichtet.

Man sieht nicht die Tötung, also das, worum es geht. Man sieht stattdessen einen anderen Teil dieser gesamten Situation, der Botschaften vermitteln soll, die das Geschehene so zeigen, wie die politisch Mächtigen es vermitteln wollen.

Dieses Buch versucht Zugänge zur Interpretation eines Fotos zu liefern von verschiedenen Wissenschaften aus.

Dabei habe ich mich gefragt, ob die Abgrenzung der Wissenschaften mit ihren unterschiedlichen Fachvokabularien und Fragestellungen nicht eher hinderlich ist bei der Analyse.

Sichtbar wird, daß es kein geschlossenes methodisches System gibt. Und sichtbar wird auch, daß es viele Gemeinsamkeiten gibt. So kommt hier der Bildaufbau und die geometrische Konstruktion in jedem Beitrag vor.

Aber genau dies alles so zu zeigen ist die Stärke dieses Buches, weil nur so die Erkenntnis wächst und die Zusammenhänge sichtbar werden.

Deshalb ist es in meinen Augen so gut und so empfehlenswert.

Wenn  Martin Schuster seinen Beitrag als „kenntnisgestützte Interpretation“ bezeichnet, ist die Schwelle zur Wirklichkeit dann auch durchbrochen.

Wissenschaftlich ausgedrückt bedeutet es, daß da jemand mit seiner eigenen Erfahrung etwas aufschreibt jenseits der Methoden einer Wissenschaft und damit neues Wissen schafft.

Das ist dann vielleicht nicht so „wissenschaftlich“ dafür dann aber umso interessanter weil es nutzbares Wissen schafft.

Für mich war daher dieses Buch immer dann besonders nutzbar wenn ich diese Grenzüberschreitungen spürte, weil dort die Wirklichkeit hinter den Fassaden sichtbar wurde im Kopf.

Ein gutes Buch und denkwürdig im besten Sinne!

Es ist im Barbara Budrich Verlag erschienen.

Przyborski, Aglaja/Haller, Günther (Hrsg.)
Das politische Bild
Situation Room: Ein Foto – vier Analysen, Band 6