Es ist so eine Sache mit der engagierten Fotografie. Es kommt wahrscheinlich darauf an, was man darunter versteht.

Einen bemerkenswerten Gedanken fand ich in der photonews 11/14, der bis heute niemals online erschien:

Dort zitiert Sabine Weier den Fotografen Julian Röder: „Mit seinen Genua-Bildern gewinnt Röder den Deutschen Jugendfotopreis und wird als Teilnehmer einer Masterclass der World-Press-Photo-Stiftung ausgewählt. Seine Begegnung mit dem internationalen Fotojournalismus ist ernüchternd. Es habe ihm missfallen, dass ausgerechnet aus privilegierten Verhältnissen stammende Fotojournalisten das Elend der Welt zeigten, sagt Röder.“

Das hat mir imponiert. Ähnliche Erfahrungen zwischen Indien und den USA berichtet Neeta Satam auf medium.com.

In der Photonews 2/2016 interviewt Felix Koltermann Dor Guez, den Leiter des Fachbereichs Fotografie an der Kunstakademie Bezalel in Jerusalem. Er fragt ihn nach der Rolle des Künstlers in der Gesellschaft und Dor Guez antwortet: „Ich denke, dass es die Aufgabe eines Künstlers ist, seine Gesellschaft herauszufordern, egal wo auf der Welt.“

Der Publizist John Berger hat in seinen Betrachtungen zur Fotografie schon 1960 ein Kriterium für die fotografische Ästhetik entwickelt mit der einfachen Frage, ob die Arbeit den Menschen hilft, sich mehr für ihre sozialen Rechte einzusetzen? Allerdings meint er damit nicht unbedingt, daß Armutsfotografie und Opferfotografie immer die erste Wahl sind.

„… dass die Kunst auch eine Aufgabe hat, indem sie den Teil der Wirklichkeit beschreibt, den wir am liebsten verdrängen wollen.“

So schrieb es einmal Klaus Staeck über die Fotografie hinaus.

Einen kurzen Rückblick gibt uns Rudolf Stumberger in seinen Büchern.

„Hatte Stumberger im ersten Band noch darauf hingewiesen, dass die sozialdokumentarische Fotografie in der ersten Hälfte des 20. Jhdt. “Teil eines umfassenden Prozesses der Visualisierung von Welt” war, so zeigt er im 2. Band den Wandel.

Chargesheimer, Doisneau, Ronis, Eugene W. Smith, William Klein, Diane Arbus, Garry Winogrand, Lee Fridlander, Milton Rogovin und viele andere werden dort mit ihrem Ansatz dargestellt.

Stumberger fasst dies so zusammen: “Demgegenüber ist die sozialdokumentarische Fotografie der Nachkriegszeit in überwiegendem Maße das Werk von einzelnen Individuen… Der Blick dieser Nachkriegsfotografen ist nicht mehr wie in den 1930er Jahren durch eine politisch eingebettete und ausgearbeitete Ideologie bestimmt.”

Im ersten Band hatte Stumberger Roland Günter zitiert, der schrieb: ”Sozialfotografie ist die fotografische Erfassung der sozialen Realität.”

Diese Begrifflichkeit ist deshalb so interessant, weil diese Art der Fotografie “engagiert, parteilich, interessengeleitet” ist. Stumberger zeigt sehr detailliert auf, wie dies in den 1970er Jahren zum “Hinüberwechseln der Fotografie in das Feld der Kunst” führt.

Für ihn sind Bernd und Hilla Becher das personifizierte Symbol für diese Veränderung. “Sie stehen nicht nur für die Verschiebung der Dokumentarfotografie hinein in den Bereich der Kunst, sondern ihre Motive zeigen zugleich die Wahrzeichen einer mittlerweile untergegangenen industriellen Epoche.”

Und damit bin ich im Rahmen dieses Artikels wieder bei Julian Röder mit seinem echten Engagement und der eigentlichen Frage, die mich bewegt:

Stimmen diese großen Worte oder handelt es sich nicht eher und fast immer um Floskeln?

Geld führt. Und gerade die, die Geld haben oder heute die großen Namen in der Fotografie ausmachen, führen uns nicht dorthin, wo die engagierte Fotografie zu finden ist. Von Gursky bis Tillmans sehe ich nichts von Engagement.

Es sei denn mein Verständnis von engagierter Fotografie ist falsch oder zu eng.

 

Wie sieht unsere Welt denn aus?

Wo kann engagierte Fotografie einsetzen und was ist engagierte Fotografie?

Wenn wir uns dem aktuellen Thema der Flüchtlinge zuwenden, dann ist dies ein Thema in der Fotografie. Unglaublich viele Fotografinnen und Fotografen waren auf der Balkanroute und am Meer und haben Menschen fotografiert, die auf der Flucht waren oder gestorben sind.

Ist das schon engagierte Fotografie?

Ist engagierte Fotografie nur die Fotografie, die gerade verkaufsfähig und politisch opportun ist, würde ich weiter fragen.

Denn wieso haben all die vielen Fotografen nicht die zunehmende Armut und die zunehmenden kaputten Menschen fotografiert, die durch Hartz4 bei uns entstanden sind?

Das war und ist bis heute weder politisch opportun noch gut fürs Portemonaie. Insofern halte ich meine Frage für durchaus gerechtfertigt, weil echtes Engagement dort beginnt, wo das Geld nicht führt sondern die Sache.

Ist das zu idealistisch oder ist das richtig?

Wenn dies richtig ist und die zu Beginn zitierten Gedanken stimmen, dann stimmt etwas nicht zwischen der medial sichtbaren weltweiten Fotoszene und den formulierten Ansprüchen an die Fotografie.

Ich spüre in den Gedanken ein Veränderungspotential auf der Grundlage von Menschenrechten und mehr Demokratie aber auch mehr Eigenanstrengung von denen, die zu Motiven werden.

Fotografie ist kein Politikersatz aber engagierte Fotografie ist natürlich auch politische Fotografie, aber nicht unbeding parteipolitische Fotografie allerdings aus der Sache heraus eine parteiische Fotografie.

Nun habe ich bis hierhin eine gedankliche Karte entworfen. Die Berge von Wahrheit und Lüge sind zu sehen, die Täler von Engagement und Frust und die satten Wiesen mit den Geld- und Goldstücken.

Diese Karte ist meine Antwort hier und heute. Wenn diese Karte stimmt, dann führt Geld nicht zur engagierten Fotografie sondern woanders hin.

Das ist sehr schade, weil es der falsche Weg ist – aber für den Einzelnen dann wohl doch der richtige.

Geld führt engagierte Fotografie fast immer davon weg.

Hier würde nun der zweite Teil des Artikels anfangen, der danach fragt, wieso es keine engagierten Staatsorgane und Einzelpersonen gibt, die so kritisch die Welt sehen, daß sie engagierte Fotografie fördern so wie ich es öfter praktiziert habe.

Das hat doch auch mit Ansprüchen an sich selbst, die Welt und das Leben zu tun.

Ich kann darauf noch keine Antwort geben, weil ich das so nicht glauben will. Ich hoffe darauf, irgendwann hier weiter zu schreiben.

Bis dann